Sonntag, 14. Juni 2015

Die BücherBoXX - Eine Berliner Erfindung? Zur Geschichte der Strassenbibliotheken in Europa

Liebe BoXXerInnen,

ist die BücherBoXX ursprünglich wirklich eine Idee die aus Berlin, dem neuen start-up Inkubator Europas, entstammt oder wo kommt Sie eigentlich her? Ich beschloss, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Denn: in Zeiten des Internet kann man diese Frage deutlich schneller beantworten, als beispielsweise noch vor 15 Jahren. Man muss nur tief genug graben und erhält immer weitergehende Verweise.

Die Rückdatierungsgrenze konnte ich aktuell mit 1991 bestimmen. Die Spur führt nach Österreich, nach Graz, um genau zu sein. Auf dem dortigen Kulturserver kann man auch heute noch fündig werden. Die beiden Künstler Clegg und Guttmann installierten 1991 erstmals "Die Offene Bibliothek / The Open Public Library" an 3 Orten am Rande von Graz, im öffentlichen Raum, und zwar hier: Reininghausstraße 7, Grillweg 30, Triester Straße 385 in Kooperation mit dem Grazer Kunstverein.

Dort heisst es heute, u.a. "Clegg & Guttmann arbeiten mit einem Kunstbegriff der als „sozialkommunikativer Prozess“ verstanden werden kann. Das Künstlerduo setzt sich nicht nur mit spezifischen urbanen Räumen auseinander, sondern mit der Struktur von Öffentlichkeit an sich."
Und weiter berichtet uns der Kulturserver: "Der unsteuerbare Verlauf des Projekts ist Teil der Konzeption als offenes Kunstwerk. Von den drei Schränken ‚funktioniert’ einer über die Dauer von drei Monaten, ein anderer ist nach sechs Wochen leer geräumt, der dritte wird mutwillig zerstört." ......."Clegg & Guttmann setzen ‚Die offene Bibliothek’ in Hamburg und Mainz in weiterentwickelten Varianten fort, in denen die Aktion auch durch soziologische Studien begleitet wird. In diesen Projekten spiegelt sich ebenfalls die ganze Bandbreite unreglementierter sozialer Interaktion wieder, von völliger Zerstörung bis zu begeisterter Annahme, wie Bürgerinitiativen zur Fortsetzung des Projekts."

In den Folgejahren an anderen Orten auch in Deutschland, so unter anderem auch in Mainz, wurden ähnliche Installationen realisiert, auf welche die damalige Innenarchitektur- und Produktdesign Studentin an der Mainzer Fachhochschule, Frau Trixy Royeck, etwa im Jahr 2001 aufmerksam, davon inspiriert und "gepackt" wurde. Dies berichtet so zumindest die Bonner Bürgerstiftung auf S.21/22 in einer ihrer Ausgaben des MitmachMAGAZINs. "Auf einem Gehweg, inmitten dicht parkender Autos waren hier in einem ausgeschlachteten Elektrokasten Bücher deponiert." So erinnert sich Trixy Royeck heute. "Offene Bücher für die Stadt" wurde schliesslich zum Thema ihrer Semesterarbeit

Mittlerweile in Bonn behaust infizierte diese Idee die unermüdliche Bonner Schriftstellerin und Kabarettistin Karin Hempel-Soos (+2009), so dass im November 2003 auf ihren Einsatz hin in Bonn von ihr auf der Poppelsdorfer Allee der erste Bücherschrank "books outdoor" eröffnet wurde. Der damalige langjährige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, auch Peer Steinbrück sowie der Radio- und Fernsehjournalist Geerd Müller-Gerbes gehörten zu den "early birds", welche das Projekt seinerzeit aktiv unterstützten.

Die Idee der offenen BücherBoxXX fand in Bonn offenbar großen Widerhall in den Medien, der interessierten (Fach-)Öffentlichkeit, im sozialen und im politischen Raum. Von hier aus verbreitete sie sich dann mählich weiter in Deutschland. So beispielsweise nach Hannover, aber auch nach Berlin.
Da traf es sich nur zu gut, dass der Smartphone-Boom nach und nach die Telefonzellen der alten Bundespost überflüssig machte. Flugs wurden diese in BücherBoXXen umgetauft und erleichterten damit den Schutz vor Wind, Nässe und Schmutz. Denn diese (damals) jedermann/-frau bekannten gelben Zellen brachten diese Schutzfunktionalität ja bereits von Natur aus mit.

Konrad Kutt, rühriger und nimmermüder Initiator der Bücherboxx Berlin, verbreitet diese Idee seit seiner Pensionierung in den Folgejahren in der Hauptstadt weiter, nachdem ihm der Bonner Bücherschrank ja bereits bekannt war, denn er arbeitete beruflich in Bonn. Er gründete hierzu das INBAK zur Realisierung seiner Visionen im Rahmen seines "Instituts für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur". Azubis kümmerten sich hier um Umbau und Ausstattung von Telefonzellen. Dabei ging es ihm um Nachhaltigkeit. Dieses Ziel erreichte er durch Recycling alter Fernsprechzellen, Solarstrom für die LED-Beleuchtung - auch des Nachts - und mit Sitzmöglichkeiten, hergestellt beispielsweise aus Autoreifen.
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Konrad Kutt hierzu weiter: "Wir haben nach einem Beispiel gesucht, wie das "Leitbild der nachhaltigen Entwicklung" anschaulich und verständlich, sowohl in der Berufsausbildung, als auch im öffentlichen Raum vermittelt werden kann. Öffentliche Bücherregale/Bücherschränke haben sich in den letzten zehn Jahren erfolgreich entwickelt. Während meiner Tätigkeit in Bonn habe ich einen Bücherschrank (Stahl plus Glas) am Rhein gesehen und beobachtet, wie er funktioniert. Bis auf den Büchertausch war das aber wenig nachhaltig. Da ich selbst in der Berufsbildungsforschung gearbeitet habe, lag es nahe, dieses Projekt zum Gegenstand der Berufsausbildung zu machen und dabei auch die Verbindung zu denjenigen herzustellen, die die BücherboXX im Stadtteil nutzen werden."

Mittlerweile sind im Stadtgebiet der Bundeshauptstadt bereits mehr als ein Dutzend BücherBoXXen aufgestellt, die von den Berlinerinnen und Berlinern fleissig genutzt, d.h. be-füllt und ent-füllt werden.

Gleichwohl dienen sie den vielen hunderttausend Touristen aus aller Welt als ebenso interessante Anregung ähnliches in ihrer Heimat zu probieren. Und so kommt es, dass es selbst in Bogota/Columbien schon BücherBoXXen gibt. Das Internet tut sein Übriges, diese Idee, samt Bildern, zu verbreiten.


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