Liebe BoXXerInnen,
wow - das ist schon eine grosse Überraschung für alle KümmererInnen und Kümmerer, das persönliche, ehrenamtliche Engagement so plötzlich seit einigen Tagen erst im offiziellen
Webangebot der eigenen Regierung erwähnt zu finden.
Respekt Herr Kutt! Sie haben's drauf und gehen das wirklich ganz cool an. So wird die BücherBoXX zum Gesprächsthema und beginnt Fuß zu fassen. In Berlin, in Deutschland und, ganz wichtig, im Austausch mit ganz Europa. Frankreich ist da schon ganz weit.
Hier der komplette Text zum Nachlesen. Quelle: Newsletter der Bundesregierung.
Bücherrecycling der besonderen Art
Die öffentliche Straßenbibliothek, genannt
BücherboXX, ist ein Projekt vom Institut für Nachhaltigkeit in Bildung,
Arbeit und Kultur in Berlin. Jugendliche in der Berufsausbildung organisieren den Aus- und Umbau alter Telefonzellen und machen diese zum Leseort.
Herr Konrad Kutt im Gespräch mit Frau Staatsministerin Aydan Özoğuz, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration an einer der 17 Berliner BücherBoXXen
Foto: Institut für Nachhaltigkeit in Bildung, Arbeit und Kultur (INBAK), Berlin
Gelbe Telefonzellen sind aus den Städten
weitgehend verschwunden. Es sei denn, sie sind zur BücherboXX geworden.
Einer Miniaturbibliothek, in der jeder Bücher einstellen und/oder
herausnehmen kann – ohne Leihschein, ohne Einschränkung.
Die Idee dazu hatte das Institut für Nachhaltigkeit in Bildung,
Arbeit und Kultur 2010 in Berlin. Jugendliche in der Berufsausbildung
organisieren seitdem den Aus- und Umbau alter Telefonzellen und machen
diese zum Leseort. Sie setzen damit Teile ihrer Ausbildung in die Praxis
um, von der Beschaffung bis zur Aufstellung und Betreuung der
„Bücherzellen“.
Das Projekt BücherboXX wurde zweimal als offizielles Projekt der
UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung 2005 – 2014“
ausgezeichnet, zweimal auch als WerkstattN-Projekt des Rates für
Nachhaltige Entwicklung. Hinzu kamen weitere Preise und
Wettbewerbsauszeichnungen.
Im Gespräch erläutert Konrad Kutt vom Institut für Nachhaltigkeit in
Bildung, Arbeit und Kultur in Berlin, was genau dahinter steckt:
Herr Kutt, Sie haben das Projekt maßgeblich entwickelt, welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht und wie geht es weiter?
Die insgesamt jetzt 16 BücherboXXen in den verschiedenen Stadtteilen
von Berlin werden sehr gut angenommen. Dort, wo sie steht, ob in Schulen
oder auf Straßen und Plätzen, weckt die BücherboXX Neugier und die
Bereitschaft, sich von einem gefundenen Zufalls-Buch überraschen zu
lassen. Gleichzeitig trennt man sich auch gerne von einem guten Buch und
stellt es in die BücherboXX, weil es neue Leser findet. Die am Aus- und
Umbau beteiligten Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe sehen darin
eine echte Herausforderung. Außerdem führt es für alle Beteiligten zu
mehr Verständnis für den mitunter schwer zugänglichen Lebensstil der
„nachhaltigen Entwicklung“.
Zurzeit setzen wir bei der Weiterentwicklung auf eine verstärkte
Kooperation mit Frankreich, auf eine stärkere Einbindung von
Ausbildungsbetrieben und allgemeinbildenden Schulen sowie insgesamt auf
eine Förderung des Lesens.
Das Tauschen und Teilen nimmt immer mehr zu. Gehört die BücherboXX zu diesem Trend?
Wir setzen darauf, dass sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit stärker
entwickelt. Mehr und mehr kommt dabei eine neue Ökonomie des Teilens
zum Vorschein, bei der es um (Mehrfach-)Nutzen statt Haben geht, um
Langlebigkeit, Zukunftsfähigkeit und Ressourceneffizienz. Diese Ökonomie
zeigt die Grenzen eines unreflektierten Wachstums auf, zumal wenn
dieses durch den Einbau von Kaputtmachern, Werbung und Suchtmitteln
manipuliert wird. Aufklärerisch wirken kann allein ein Wachstum des
Lesens, ein Wachstum des Wissens um die Dinge.
Die Straßenbibliothek lebt vom zivilgesellschaftlichen Engagement der
Anwohner. Ist die Bereitschaft dafür vorhanden?
Wir machen auch in dieser Hinsicht gute Erfahrungen. Die
Straßenbibliothek ermöglicht einen kostenlosen Zugang zu Büchern für
alle und wird damit zu einem Gemeingut. Viele Bürger sind bereit, sich
dafür zu engagieren, es zu pflegen und zu erhalten.
Thematisch sind die Buchinhalte weit gefächert. Was wird in den BücherboXXen am meisten nachgefragt?
Das richtet sich ganz nach den Interessen der nutzenden Leser und was
hereinkommt und wieder herausgeht. Alles ist dabei: vom Kochbuch bis zu
Belletristik, vom Reisebuch bis zum Krimi, vom Jugendbuch bis zur
Biographie berühmter Personen. Dort, wo viele Kinder wohnen, werden
natürlich Kinder- und Jugendbücher gelesen.
Rund um die BücherboXX haben sich inzwischen auch Gespräche und Diskussionen etabliert. Worüber sprechen die Menschen?
An einigen BücherboXXen gibt es Betreuergruppen, die sich regelmäßig
treffen. Rund um die Box ergeben sich spontane Gespräche. Vor allem aber
werden Lesungen und Diskussionen vielfältiger Art organisiert. In
Schulen werden rund um die BücherboXX Literaturtage organisiert. An der
BücherboXX am Berliner Mahnmal „Gleis 17“ haben wir inzwischen mehr als
zehn Lesungen zu den Themen Jüdisches Leben, Nationalsozialismus,
Rassismus, Euthanasie usw. mit großer Resonanz durchgeführt.
Das BücherboXX-Motto „Bring ein Buch – nimm ein Buch – lies
ein Buch“ zeigt, dass letztlich zum Lesen motiviert werden soll. Kann
man damit im digitalen Zeitalter überhaupt noch punkten?
Wir geben da nicht auf. Lesen ist ein Königsweg zur Identitätsfindung.
Artur Schopenhauer hat gesagt: „Lesen ist Denken mit fremden Gehirnen“,
um das eigene Gehirn zu entdecken und seinen Möglichkeiten gerecht zu
werden. Die digitalen Medien mit den sozialen Netzen einschließlich
Fernsehen betreiben häufig Diebstahl von Zeit, die dem Lesen
verlorengeht. Das E-Book hingegen betrachten wir eher als eine
Ergänzung, nicht als Ersetzung des Buches, dessen haptisches Umblättern
viele nicht missen möchten.
Welche Erfahrungen gibt es in der Zusammenarbeit mit Frankreich und haben die Franzosen auch schon die BücherboXX entdeckt?
Seit dem 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages im Jahre 2013 gibt es einen
regen Austausch mit Frankreich in Sachen BücherboXX. Wechselseitig und
kooperativ werden deutsche und französische Telefonkabinen ausgebaut.
Nur hat man noch nicht den Mut, die BibliboXX, wie man in Frankreich die
BücherboXX nennt, zur allgemeinen Nutzung auf die Straße zu stellen.
Gerade erst im Mai 2015 wurde eine exklusive Konstruktion auf dem
Gelände von INSEP, dem nationalen Sportinstitut für Frankreich,
eingeweiht. Eine ehemals französische Telefonkabine steht vor dem Centre
Français de Berlin.
Donnerstag, 2. Juli 2015